Das sollten Sie wissen, denn nicht alles, was als höhere Gewalt bezeichnet wird, stellt auch wirklich höhere Gewalt dar!
Zunächst muss geklärt werden, was Gegenstand der Leistungsverpflichtung eines Auftragnehmers ist. Von der Beantwortung dieser Frage ist abhängig, ob es sich bei einer Nichterfüllung seiner Vertrasverpflichtung wirklich um einen Fall höherer Gewalt handelt oder nur um einen Fall, bei dem sich das unternehmerische Risiko zulasten des Auftragnehmers verwirklicht.
Beispiel: Ein Auftragnehmer hat sich verpflichtet 100 m² Fliesen zu einem bestimmten Preis zu liefern. Infolge von gestörten Lieferketten kann er dies nicht.
Bei der Lieferung von Waren, die nur nach ihrer Gattung bezeichnet werden (100 m² einer Fliese, die nach Größe und Farbe bestimmt ist) geht die Rechtsprechung davon aus, dass ein sorgfältig arbeitender Kaufmann sich rechtzeitig versichert, dass er diese Ware auch liefern kann. Kann er dies nicht, liegt ein Fall vor, für dessen Folgen der Auftragnehmer in vollem Umfange einzustehen hat.
Wären die Fliesen vom Auftraggeber hingegen einzeln ausgesucht worden (ein ziemlich unrealistischer Fall!) könnte wohl mit Erfolg von einem Fall höherer Gewalt gesprochen werden.
Für den Auftragnehmer hatte diese Unterscheidung erhebliche Folgen: liegt ein Fall von höherer Gewalt vor, kann er sich von seiner Lieferverpflichtung befreien oder eine Änderung der Konditionen (vor allem des Preises) fordern. Andernfalls trägt er die volle Haftung.
Wann liegt höhere Gewalt vor?
Nach der Rechtsprechung ist von höherer Gewalt auszugehen, wenn ein schadensverursachendes Ereignis von außen einwirkt, also seinen Grund nicht in der Natur der gefährdeten Sache hat, das Ereignis auch durch die äußerst zumutbare Sorgfalt weder abgewendet noch unschädlich gemacht werden kann. Beispiele aus der Rechtsprechung hierfür sind Naturkatastrophen, Erdbeben, Überschwemmungen, teilweise auch kriegerische Auseinandersetzungen. Die Folgen einer Pandemie können auch dazu zählen.
3 Fragen, um höhere Gewalt feststellen zu können
1. Handelt es sich um eine Gattungs- oder eine Stückschuld? (Im Beispiel: 100 m² Fliesen nach Größe und Farbe oder ausgewählte Einzelstücke?) Im Falle einer Gattungsschuld wird es für den Auftragnehmer sehr schwer, sich auf einen Fall höherer Gewalt zu berufen. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass bei Vorlage einer Gattungsschuld das Zusammenbrechen einer Lieferkette keinen Fall höherer Gewalt darstellt, da ein umsichtiger Auftragnehmer Vorsorge dafür trifft, auch liefern zu können.
2. Lässt sich die fragliche Ware am Markt von einem anderen Händler/Hersteller beziehen? Falls ja, kommt es auf die Frage, zu welchen Konditionen die Alternativlieferung möglich ist, nicht an. Insoweit manifestiert sich lediglich das Preisrisiko, welches der Auftragnehmer trägt.
3. Ist der Auftragnehmer direkt betroffen oder kann er nicht liefern, weil sein Zulieferer nicht liefern kann? Auch in diesem Falle läge keine höhere Gewalt vor.
Ergebnis
Nur wenn die Beantwortung der vorstehenden Fragen eindeutige Hinweise auf höhere Gewalt ergeben, sollte man sich auf Verhandlungen wegen einer geänderten Geschäftsgrundlage einlassen. Liegt also nach §313 BGB eine eindeutige „Störung der Geschäftsgrundlage“ vor, so müssen die Ursachen hierfür offensichtlich und beweisfähig sein. In vielen Fällen handelt es sich um Einzelfallentscheide durch zuständige Gerichte, da die ursächllichen Zusammenhänge für den Verbraucher kaum nachvollziehbar und transparent sind.