…Wenn der Baufortschritt ins Stocken gerät
Was ist eine Behinderungsanzeige und für wen ist sie relevant?
Die Behinderungsanzeige im Bauwesen ist ein formelles Schreiben des Auftragnehmers an den Auftraggeber, in dem der Auftragnehmer die Behinderung seiner Arbeiten zur Erfüllung des Bauvorhabens erklärt.
Unter den Begriff „Behinderung“ fallen alle Umstände, die den vorgesehenen und erwünschten Bauablauf stören, unterbrechen oder hemmen. Die Behinderungsanzeige ist besonders relevant für den Auftragnehmer, da er sich mit dieser mögliche Ansprüche wie beispielweise eine Fristverlängerung oder eine Entschädigung sichern kann.
Die rechtliche Grundlage
Eine wichtige Voraussetzung für die Wirksamkeit der „Behinderungsanzeige“ ist, dass dem Bauvertrag die VOB/B (§ 6 Abs. 1 VOB/B) zugrunde liegt. Dies liegt daran, dass im allgemeinen BGB-Werkvertragsrecht (§ 631 ff. BGB) die Baubehinderungsanzeige so nicht klar definiert ist. Sollte die VOB/B nicht als Vertragsrundlage bestehen, so findet automatisch das Werkvertragsrecht des BGB Anwendung. In diesem Fall bestehen jedoch ähnliche Verpflichtungen für den Auftragnehmer, den Auftraggeber über Umstände der höheren Gewalt oder andere (unverschuldete) Verzögerungen im Bauablauf umgehend zu informieren. Nur bei Einhaltung dieser Verpflichtung kann er seine Ansprüche auf mögliche Entschädigung oder die Gewährung von Fristverlängerungen geltend machen.
Auch im BGB-Vertrag muss der Unternehmer also eine Behinderung anzeigen, nur wird diese Anzeige dann nicht als „Behinderungsanzeige“ im Sinne der VOB/B bezeichnet.
Wann genau benötigt man eine Behinderungsanzeige?
Sobald sich die Befürchtung des Auftragnehmers, die versprochene Bauleistung nicht mehr ordnungsgemäß aufgrund einer Behinderung zu erfüllen bestätigt, ist dieser gesetzlich dazu verpflichtet, den Auftraggeber über diese entstandene Umstände zu informieren. Allerdings fällt eine förmliche Behinderungsanzeige aus, wenn eine offenkundige Behinderung vorliegt.
„Offenkundig“ heißt, dass die Störung im Bauvorhaben derart offensichtlich ist, dass sie dem Auftraggeber realistisch gesehen in jedem Fall bekannt sein sollte. Essenziell zu beachten ist, dass der Auftragnehmer im Zweifelsfall die Beweislast dafür trägt, dass der Auftraggeber die hindernde Umstände und insbesondere die Folgen kannte bzw. erkennen hätte müssen.
Beispielsweise müsste der Auftraggeber mehrfach ausdrücklich darauf hingewiesen werden, bis er dies verstanden hat. Da dies umständlich sein kann und dieses Verhalten ein gewisses Risiko mit sich bringt, ist es vorteilhaft, von vornerein die Behinderung förmlich anzuzeigen. So werden Unsicherheiten präventiv verhindert.
Wie erstellt man eine rechtssichere Behinderungsanzeige?
Sie sind Auftragnehmer und möchten wissen, wie eine Behinderungsanzeige konkret erstellt wird und welche Pflichtangaben sie enthalten muss? Im Folgenden wird Schritt für Schritt erklärt, wie Sie eine Behinderungsanzeige anmelden und was Sie dabei beachten sollten:
Informationen, die in einer Behinderungsanzeige enthalten sein sollten
- Aktueller Stand der Baustelle
- Konkrete behinderte Leistungen & Ursache der Behinderung
- Dauer der Behinderung (von wann bis wann?)
- Abhilfemaßnahmen
- Folgen der Behinderung inkl. Mehrkosten
Behinderungsanzeige nach VOB/B
Sobald eine Behinderung des Auftragnehmers bei der Bauausführung eintritt, ist eine schnelle und formgerechte Reaktion besonders entscheidend.
- Baubehinderung frühzeitig erkennen und melden
Sobald Anzeichen einer möglichen Behinderung auftreten, sollte man diese schnell identifizieren und kommunizieren. Bereits bei einem begründetem Verdacht auf eine bevorstehende Behinderung sollten Sie den Auftraggeber informieren, denn die Anzeige setzt keinen bereits eingetretenen Stillstand auf der Baustelle voraus. Fällt die vermutete Behinderung weg oder tritt sie nicht ein, sind Sie verpflichtet, den Auftraggeber auch darüber formal zu informieren (§ 6 Abs.1 VOB/B; § 242 BGB) und die Arbeiten sofort wieder aufnehmen.
- Dokumentation
Sie sollten als Auftragnehmer die Behinderung unbedingt lückenlos dokumentieren. Das bedeutet den Zeitpunkt des Beginns exakt festzuhalten, die voraussichtliche Dauer einzuschätzen und laufend fortzuschreiben sowie Umstände und Ursachen präzise zu beschreiben. Es ist notwendig, dass Sie die Auswirkungen auf den Bauablauf darstellen und
betroffene Vorgänge und Verzögerungen benennen. Hierfür ist es sinnvoll, alles schriftlich im Bautagebuch oder einem gleichwertigen Dokument (insbesondere Fotos, Pläne, Korrespondenz) als Beleg für spätere Ansprüche und Rückfragen zu sichern.
- Behinderungsanzeige ordnungsgemäß übermitteln
Nach der Dokumentation sollten Sie die Behinderungsanzeige unverzüglich an den Auftraggeber versenden. Dabei ist es wichtig, dass Sie sich an die Schriftform halten und den Zugang der Behinderungsanzeige nachweisbar sicherstellen (z.B. Versand per Einschreiben). Des Weiteren sollten Sie eine Eingangsbestätigung vom Auftraggeber anfordern und aktenkundig machen. Wenn der Auftraggeber dieser Bitte nicht nachkommt, sollten Sie auf jeden Fall nachhaken.
Vorlage/ Muster Behinderungsanzeige zum Download
Es ist hilfreich und empfehlenswert, bei der Erstellung auf eine geeignete Vorlage für eine rechtssichere Behinderungsanzeige zuzugreifen. Diese vereinfacht die Erstellung, erspart Ihnen Zeit und Sie können sicherstellen, dass alle wesentlichen Angaben enthalten sind. Nutzen Sie hierfür gerne unser Musterformular, das Sie individuell mit Ihren eigenen Angaben ergänzen können.
HIER: Muster Behinderungsanzeige zum Download
Gibt es Fristen bei der Erstellung einer Behinderungsanzeige?
Bei der Erstellung einer Behinderungsanzeige ist vor allem die Regelung in der VOB/B zu beachten. Gemäß dieser (§ 6, Abs. 1 VOB/B) sollte eine Behinderungsanzeige unverzüglich, sprich ohne schuldhaftes Zögern ab Erkenntnis der Behinderung, erfolgen. Eine Behinderungsanzeige, die nachträglich versendet wird, begründet grundsätzlich keine Ansprüche für bereits vergangene Zeiträume.
Was können Gründe für Behinderungen am Bau sein?
Behinderungen beim Bau sind nichts Außergewöhnliches. Gründe können zum einen Umstände aus dem Risikobereich des Auftraggebers sein. Demnach ist eine Behinderungsanzeige berechtigt bei verspäteter Auftragserteilung oder Plan-/Genehmigungsbereitstellung, mangelhaften oder fehlenden Vorleistungen sowie nachträglichen Änderungen oder Zusatzanforderungen des Auftraggebers. Zum anderen können auch Streiks bzw. Aussperrungen als rechtmäßiger Grund für eine Behinderungsanzeige gelten, wenn sie den Betrieb des Auftragnehmers oder eines unmittelbar für ihn tätigen Betriebs betreffen. Auch höhere Gewalt durch unvorhersehbare Ereignisse wie Naturkatarstrophen können die Bauausführung objektiv verhindern und eine Behinderungsanzeige nach VOB/B rechtfertigen.
Wichtig: eine Behinderungsanzeige als Folge von Witterungseinflüssen ist nur bei außergewöhnlich schweren und unvorhersehbaren Wetterereignissen gerechtfertigt. Übliche klimatisch und jahreszeitlich bedingte Schwankungen sind im Bauvorhaben durch den Auftragnehmer von vornherein einzukalkulieren.
Wie muss dem Auftraggeber die Behinderungsanzeige übermittelt werden?
Die Behinderungsanzeige ist direkt an den Auftraggeber zu richten und „unverzüglich“ sowie „schriftlich“ abzugeben. Das bedeutet, dass ein Telefonat mangels Beweisfähigkeit rechtlich völlig ausgeschlossen ist. Auch eine WhatsApp kommt keinesfalls infrage. Die Anzeige muss die hindernden Umstände konkret benennen, den Beginn, den Umfang und die Auswirkungen schildern. Nur bei Offenkundigkeit der Umstände samt ihrer Auswirkungen ist sie entbehrlich.
Ob eine E-Mail ausreichend ist, oder ein Schreiben mit händischer Unterschrift erforderlich ist, hängt von den Anforderungen des geschlossenen Vertrages ab. Bei öffentlichen Auftraggebern, komplizierten Vertragsbedingungen oder schwierigen Vertragspartnern empfiehlt sich immer der „sichere und offizielle“ Weg der Schriftform mit Zugangsnachweis. Daher sollten Sie aus Gründen der Beweislast mindestens eine E-Mail mit einem angehängten Scan Ihrer Behinderungsanzeige mit Unterschrift und Datum, ein Fax des Originaldokuments mit Unterschrift oder den Briefversand der Behinderungsanzeige mit Einlieferungsbeleg wählen.
Müssen Bauherren die Behinderungsanzeige der Baufirma anerkennen?
Der Bauherr muss die Behinderungsanzeige nicht „anerkennen“, sondern muss diese die Anzeige zur Kenntnis nehmen, die Umstände prüfen und gegebenenfalls Abhilfe schaffen. Die Rechtsfolgen hängen allerdings von einer ordnungsgemäß unverzüglich schriftlich und hinreichend konkreten Anzeige nach § 6 Abs. 1 VOB/B oder von der Offenkundigkeit ab.
Der Bauherr kann Grund, Umfang und Auswirkungen der Baubehinderung bestreiten, denn für die konkrete Begründung der Behinderungsanzeige im Bauablauf trägt der Auftragnehmer die Beweislast.
Für welchen Zeitraum ist eine Behinderungsanzeige gültig?
Die Frage nach der zeitlichen Begrenzung der Behinderungsanzeige ist sehr wichtig. Eine Behinderungsanzeige gilt nur für die konkret angezeigte Behinderung und deren tatsächliche Dauer. Sie verschafft keine unbegrenzte Deckung. Gemäß § 6 VOB/B ist die Behinderung unverzüglich schriftlich anzuzeigen. Ausführungsfristen verlängern sich nach der Dauer der Behinderung zuzüglich Zuschlägen für die Wiederaufnahme der Arbeiten und eine mögliche Verschiebung in eine ungünstigere Jahreszeit.
Endet der Hinderungsgrund, sind die Arbeiten unverzüglich wieder aufzunehmen. Dauert dieser jedoch an oder ändert er sich, ist die Anzeige fortzuschreiben. Rechtsfolgen wie Fristverlängerung und Verzugsabwehr knüpfen an diese konkrete Dauer an und nicht darüber hinaus. Liegen die Gründe für die Behinderungsanzeige nicht mehr vor, so ist dieser Zeitpunkt ebenfalls konkret zu benennen, im Bautagebuch zu dokumentieren und dem Auftraggeber schriftlich mitzuteilen. Die Arbeit ist durch den Auftragnehmer unverzüglich wieder aufzunehmen.
Schützt eine Behinderungsanzeige den Bauunternehmer vor
Vertragsstrafen?
Die Behinderungsanzeige wirkt, indem sie den Verzug verhindert bzw. Ausführungsfristen nach § 6 VOB/B verlängert, soweit die Verzögerung kausal auf der angezeigten Behinderung beruht. Also schützt eine Behinderungsanzeige nicht automatisch vor Vertragsstrafen. Vertragsstrafen setzen Verzug voraus (§ 11 VOB/B i.V.m. § 339 BGB). Fehlt der Verzug wegen berechtigter Fristverlängerung, entfällt die Vertragsstrafe. Bei „massiven“, vom Auftragnehmer nicht zu vertretenden Störungen, die den gesamten Zeitplan umwerfen, kann die Vertragsstrafe insgesamt hinfällig sein. Im Gegensatz dazu führen weniger gravierende Behinderungen nur zur entsprechenden Fristverlängerung.
Welche Ansprüche entstehen durch eine Behinderungsanzeige?
Dem Auftragnehmer entstehen durch eine Behinderungsanzeige verschiedene Ansprüche. Diese sind ebenfalls im § 6 VOB/B geregelt:
- Fristverlängerung
Ausführungsfristen verlängern sich in dem Umfang, in dem die konkrete, angezeigte Behinderung den Bauablauf tatsächlich verzögert, zuzüglich eines angemessenen Zuschlags für den Wiederanlauf der Arbeiten und etwaige Umstellungen der Baustellenorganisation. Wenn es dadurch zu einer Verschiebung in eine ungünstigere Jahreszeit kommt, ist ein weiterer Zuschlag anzusetzen. Voraussetzung ist eine unverzügliche, inhaltlich hinreichend konkrete Behinderungsanzeige.
Mit Wegfall des Hinderungsgrundes sind die Arbeiten unverzüglich wieder aufzunehmen und das Ende der Behinderung mitzuteilen, denn andernfalls drohen Kürzungen der Verlängerung. Die Verlängerung wirkt nur für den kausal betroffenen Zeitraum und entsprechende Arbeitspakete, nicht pauschal für das Gesamtvorhaben.
- Teilabrechnung
Wird die Ausführung länger unterbrochen, ohne endgültig beendet zu sein, kann der Auftragnehmer die bereits erbrachten Leistungen abrechnen und zusätzlich die bis dahin angefallenen, noch nicht vergüteten Kosten verlangen.
- Schadensersatz
Verursacht eine Vertragspartei schuldhaft die Verzögerung, kann die andere Partei Ersatz des tatsächlichen Schadens verlangen. Der entgangene Gewinn ist nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit ersatzfähig.
- Rücktritt vom Vertrag
Hält die Unterbrechung länger als drei Monate an, dürfen beide Parteien den Vertrag nach Ablauf dieser Zeit schriftlich kündigen.
Was sind KEINE Gründe für eine Behinderungsanzeige?
Keine Gründe für eine Behinderungsanzeige sind regelmäßig:
- übliche, jahreszeittypische Witterung
- rein interne Ursachen des Auftragnehmers wie Organisation, Personal- oder Gerätemangel
sowie Kalkulationsfehler - bloße Erschwernisse der Auftragsausführung ohne konkret belegtes Unverschulden
- rechtmäßige Anordnungen des Auftraggebers im Rahmen seines Anordnungsrechts
- Fälle, in denen eine behauptete Mitwirkung des Auftraggebers für die Werkherstellung nicht erforderlich war oder der Auftragnehmer nicht ordnungsgemäß und rechtzeitig Leistungsbereitschaft und Behinderung angezeigt hat.
Wer prüft eine Behinderungsanzeige auf Rechtmäßigkeit bzw.
Gütigkeit?
Zunächst prüft der Auftraggeber bzw. seine Bauleitung (ggf. örtliche Bauüberwachung/Projektsteuerung) die Behinderungsanzeige inhaltlich und entscheidet, ob sie anerkannt wird oder nicht. Kommt es zum Streit über Rechtmäßigkeit/Gültigkeit (z.B. Fristverlängerung, Vergütung/Entschädigung), entscheiden schlussendlich die Gerichte.
Wie und wann geht es dann mit dem Hausbau weiter?
Mit dem Hausbau geht es wie folgt weiter:
Nach der Behinderungsanzeige prüft der Auftraggeber zügig die Lage, der Unternehmer arbeitet in den nicht betroffenen Bereichen weiter, die Fristen verlängern sich um die Behinderungsdauer mit zeitlichem Wiederanlaufpuffer, nach Wegfall der Ursache wird unverzüglich wieder vollständig gebaut und Kostenfragen werden anschließend geklärt.
Wie können mir die Rechtsanwälte von Streich und Wittke helfen?
- Rechtssicheres und taktisches Formulieren der Behinderungsanzeige
- Aufbereitung Ihrer Baustellendokumentation und strukturierte Darstellung
- Übernahme der Kommunikation mit der Bauleitung und dem Auftraggeber
- Verhandlung der Nachträge und Fristverlängerungen
- Frühe und kompetente Bewertung der Risiken und Ansprüche
- Durchsetzung der Ansprüche sowohl gerichtlich als auch außergerichtlich
Weiterführende Links zum Thema
HIER: Muster Behinderungsanzeige zum Download
Baurecht für Hamburg und ganz Norddeutschland
Zu guter Letzt…
An dieser Stelle möchten wir uns bei unserem Co-Autor Modud Ahmed bedanken. Er hat uns bei der Erstellung dieses Beitrags tatkräftig und kreativ unterstützt.
Bildnachweis: AdobeStock_1751796137


